Film Uppbrott und Katitzis Kommentar

Wenn ihr den perfekt restaurierten Film von 1948 seht und vorher den Text aus dem 13. Buch Katarina Taikons mit dem gleichnamigen Titel: "UPPBROTT" vergleicht, bekommt ihr eine Ahnung, was die Bücher für Kinder und Jugendliche ausmachten.

(Arne ist der Regisseur Arne Sucksdorff)

S.27-29 „Wie eine Blume!“ Arne zeigte, wie er sich die Tanzbewegungen vorstellte, streckte die Arme nach oben und ließ sie sich langsam ausbreiten in dem Versuch, die Bewegungen eines sich öffnenden Blütenblattes nachzuahmen, während er sich gleichzeitig ungeschickt im Kreise drehte. Mit der Pfeife im Mund und dem Manuskript in der Hand glich er am allerwenigsten einer taufrischen, knospenden Rose, die sich in der Sonne voll entfaltet. Die Choreografin, würdevoll wie eine Königin, konnte sich das Lachen verkneifen. Aber nur mit Mühe.
„Mädchen“, sagte Arne. „Dies ist Birgit Cullberg. Sie soll euch Romatänze tanzen lehren.“
„Du bist nicht klug, du. Sie ist doch keine Roma. Sie ist ja eine Gadsche (gaji). Sie kann uns doch nicht unsere Tänze lehren“, rief Katitzi aus. Rosa war auch verwundert, aber sie sagte nichts.
Birgit Cullberg sah selber skeptisch aus.
„Niemand hat bisher einen solchen Film gesehen wie den, den wir machen. Der wird perfekt werden, glaubt mir. Birgit ist eine Toppkraft. Sie wird Wunder bewirken. Glaubt mir.“
Arne schaute sie treuherzig an.
 „Oj, oj. So was habe ich schon mal gehört“, brummelte Katitzi.
 „Das Mädchen hat recht. Ich bin keine Romnja und auch keine Expertin für Romatänze. Aber wir können das Beste aus der Situation machen.“
Birgit setzte das Grammofon in Gang, und ein ungarischer Csardas erfüllte den Raum mit Musik.
 „Fang an, Katitzi.“
Und Katitzi tanzte einen ‚romano kelimos’, einen Romatanz. Arne räusperte sich.
 „Naja, das ist nicht so ganz das, was ich mir gedacht habe. Du verstehst, ich arbeite mit einer Blume, parallel zu Katitzis Tanz. Die sollen gleichzeitig ausschlagen…“
„Jaaah, ich glaube, ich verstehe. Arne, lässt du mich bitte das Manuskript sehen?“
Zur Überraschung von Katitzi und Rosa schien Birgit zu verstehen, worüber Arne sprach.
„Tja, das Manuskript ist noch nicht ganz fertig.“ Arne wand sich. „Ich glaube, wir sollten improvisieren, wenn wir es mit einem Naturvolk zu tun haben…Aber du kannst die Blume sehen…“
„ Er spinnt“, flüsterte Katitzi.
„Er ist Künstler. Du weißt…“
„…dass die spinnen, ja.“

Langsam verließ Arne sie, und Birgit setzte das Grammofon wieder in Gang.
„Das ist keine Roma-Musik. Das ist ungarische…“
„ Ja, natürlich ist das ungarisch. „ Birgit zögerte etwas. „Ungarischer Csardas…Romamusik.“
„Denk mal, das stimmt nicht. Ich will eine ‚hopptja’ tanzen, und Paul soll spielen. Willst du das nicht auch, Rosa?“
Rosa und Birgit sahen einander an und nickten übereinstimmend.
„ Wir haben dabei nicht so viel zu sagen. Der Regisseur entscheidet, und er weiß, was er will.“
Katitzi fand sich in das Unausweichliche. Auf den Knien liegend, zusammengekrümmt, den Kopf auf den Boden gebeugt, hatte sie im Rhythmus der Musik mit den Armen zu wehen und zu schweben, sukzessiv, wie aus einem langen Schlummer erwachend den Kopf zu heben, eine Blume nachzuahmen. Sie sah auf, und ihr Blick erreichte das Fenster. Davor drängten sich Roma. Sie sahen misstrauisch, zweifelnd auf sie.
Katitzi brach in Lachen aus.
„ Ein Schritt Hollywood näher. Die Angebote werden nach diesem Tanz auf mich regnen.“
S.46f
An diesem ersten Tag gab es viele Unterbrechungen. Die meisten hatten verschiedene Auffassungen davon, wie der Film gemacht werden sollte. Der eine sagte hü und der andere hott, und der Regisseur versuchte vergeblich zu erklären, dass er der Regisseur war. Er und niemand anderes.
Aber die Roma konnten diese Tatsache nur schwer einsehen. Der Punkt war doch, meinten sie, dass der Film von Roma handeln sollte. Wer wusste mehr über Roma, Gadsche oder ‚le rom’. Die Antwort war doch klar, fand man. Die Gadsche teilten die Auffassung der Roma nicht. Wir können Filme machen, sagten sie. Aber ihr wisst nichts über Roma, sagten die Roma. Der Gadsche zuckte mit den Achseln und meinte, dass die Roma keinen Deut von künstlerischer Freiheit verstünden.
„Wir machen keinen Film für ein ethnografisches Museum, dies ist eine freie künstlerische Schöpfung.“
„Aber das soll doch von Roma handeln?“


 Text der schwedischen Seite "übersetzt":

Als der legendäre Dokumentarfilmer Arne Sucksdorff "Aufbruch" im Jahr 1948 aufnahm, war er der erste schwedische Regisseur, der einen Oscar erhielt für die impressionistische Kurzfilm "Die Menschen in der Stadt", die das Leben in Stockholm auffing. Nun wollte er einen Film über ein Roma-Lager machen und kam in Kontakt mit der sechzehn Jahre alten Katarina Taikon. Später würde sie als politische Aktivistin für die Rechte der Roma und als die gefeierte Autorin von Kinderbüchern bekannt sein, aber hier ist sie das Mädchen, das barfuß am Lagerfeuer tanzt. Es ist schwer, die Augen von ihr zu nehmen; um sie herum ist ein Licht und eine Vitalität, die Sucksdorff durch Querschnitt ihres Tanzens mit Nahaufnahmen von Blumenöffnung verstärkt.

Der Film beginnt mit dem Lager in der Nähe der Årsta-Brücke in Stockholm Banken. Während ein durchgebrannter Motor gewartet wird, spielen Männer  Kartenspiele und Musik und die Frauen beginnen zu tanzen. Ein eher unproblematisches Bild des Roma-Lebens, voller Wärme und Gemeinschaft  über die Generationen hinweg. Später bieten Katarina Taikon ein viel grimmigeres Bild des Aufwachsens als Roma in den dreißiger und vierziger Jahren Schwedens: Der Familie wurde keine feste Wohnsitz geboten und musste alle drei Wochen umziehen, die Kinder durften nicht zur Schule gehen, und im Winter war es schrecklich kalt in den Zelten. Es dauerte bis 1959, bevor Roma das Recht auf Wohnung und Schule hatten, aber Vorurteile und Unterdrückung wird nicht über Nacht verschwinden. Katarina Taikon war in den sechziger und siebziger Jahren ein bekannter Sprecherin für die Rechte der Roma und die autobiografischen Kinderbücher über Katitzi schrieb sie in der schwedischen Literaturgeschichte.

"Aufbruch" wurde vor Ingmar Bergman "Thörst" gezeigt, die Premiere war Weihnachten 1948. Katarina Taikon spielte in mehreren Filmen in den fünfziger Jahren, aber der Film "Aufbruch" war in mehrfacher Hinsicht wichtig. Lawen Mohtadi sagt in ihrem Buch über Katarina Taikon, "Der Tag werde ich frei sein" (Natur und Kultur, 2012), die Dreharbeiten von "Aufbruch" ermöglicht es für Katarina Taikon sich von dem Mann, den sie zwei Jahre zuvor sie geheiratet hatte, zu trennen. Die junge Frau, die um ein Lagerfeuer tanzt wird bald frei sein in die Welt zu gehen und sich erkennen.